Warum wir Klimakonferenzen psychologisch intelligenter machen müssen
Die Klimadiplomatie steckt in einem globalen Commons-Dilemma: Alle profitieren langfristig vom Schutz des Planeten, doch kurzfristig dominieren nationale Interessen. Das führt zu bekannten Mustern – Verzögerung, Schuldzuweisungen, Polarisierung oder Rückzug.
Genau deshalb braucht es psychologische Intelligenz. In meinem Jahr im Rahmen des Mercator Kollegs – mit Regierungen aus SIDS-Ländern, internationalen NGOs und in engem Austausch mit der COP30-Präsidentschaft – habe ich erlebt, dass Klimaverhandlungen nicht nur Technik und Paragrafen sind, sondern zutiefst menschlich.
Als Beobachterin bei den Loss and Damage-Verhandlungen auf der SB62 in Bonn habe ich gespürt, wie mühsam Vertrauen wächst und wie schnell es zerbricht. Wie Gesichter sich verhärten, wenn die Nerven nach zwölf Stunden Sitzung blank liegen – und wie plötzlich eine kleine Geste, ein ehrliches Dankeschön oder respektvolles Zuhören Türen öffnet.
Was hier verhandelt wird, entscheidet über die Zukunft dieser Welt. Doch die psychologische Dimension wird bisher kaum beachtet. Sie ist kein Nebenschauplatz, sondern ein Schlüssel.
Vertrauen ist die eigentliche Währung internationaler Klimapolitik – nicht nur zwischen Kulturen, sondern auch gegenüber politischen Strukturen, Delegationen und Prozessen.
Das Paradoxe: Man kann Menschen vertrauen, aber den Strukturen misstrauen. Hier braucht es psychologische Brücken.
Verhandlungen sind emotional fordernd. Delegierte müssen Frust, Müdigkeit und Druck aushalten – und trotzdem handlungsfähig bleiben.
Psychologische Werkzeuge helfen:
Resilienz ist kein Charakterzug, sondern trainierbar.
In formellen Sitzungen wiegt jedes Wort schwer. Oft spricht nur, wer absolut sicher ist. Ganz anders in den informellen Gesprächen am Rande – beim Kaffee, im Flur, abends draußen. Dort entstehen Offenheit und Vertrauen.
Psychologe Timothy Clark beschreibt vier Stufen psychologischer Sicherheit: Inclusion, Learner, Contributor, Challenger Safety. In den Verhandlungen sind meist nur die ersten beiden erreichbar. Doch erst wenn auch Ideen eingebracht und der Status quo infrage gestellt werden können, entsteht echte Veränderung.
Klimadiplomatie ist Identitätspolitik. „Wir gegen sie“ – Nord gegen Süd – erschwert Kooperation. Doch Identität kann auch verbinden: Wenn es gelingt, eine kollektive Identität der Willigen zu schaffen – ein gemeinsames „Mutirão“ –, entsteht Energie.
Entscheidend ist das Zusammenspiel von Zugehörigkeit und kollektiver Wirksamkeit. Erst wenn beides zusammenkommt, wächst collective agency: das Vertrauen, dass gemeinsames Handeln wirklich etwas bewegt.
Zwischen den Realitäten an den Frontlines und den abstrakten Texten der Verhandlungen klafft oft eine Lücke. Storytelling kann sie schließen.
Authentische Geschichten aus SIDS verändern mehr als jede Statistik. Sie machen abstrakte Risiken greifbar, wecken Empathie und können Prozesse kippen – hin zu Mitgefühl und Verantwortungsübernahme. Damit das gelingt, müssen Delegierte aus SIDS ihre Stimmen gezielt einbringen – und Industrieländer ihr Herz öffnen. Facilitators können helfen, die Lebensnähe sichtbar zu machen, ohne Druck zu erzeugen, der konstruktives Denken blockiert.
Die Klimakrise ist ein super wicked problem, geprägt von drohenden physikalischen Kipppunkten. Klimakonferenzen sind der Versuch, gegenzusteuern – selbst komplexe Systeme mit vielen Akteuren und Interessen.
Psychologie hilft, diese Vielfalt als Ressource zu nutzen. Formate, die kollektive Intelligenz fördern – Zuhören, Perspektivenvielfalt, systemische Methoden – machen Gruppen klüger. Und sie helfen, soziale und diplomatische Kipppunkte bewusst herbeizuführen, wie beim Pariser Klimaabkommen, wo scheinbar Unmögliches plötzlich möglich wurde.
COPs überfordern. In diesem Informationschaos neigen Menschen zu Heuristiken – schnellen Urteilen. Die Dual-Process-Theorie zeigt: Nur mit Zeit, Energie und Motivation nutzen wir die tiefe, reflektierte Route. Unter Druck schalten wir auf die heuristische – fatal in komplexen Verhandlungen.
Darum braucht es Strukturen, die Tiefe sichern: klare Sprache, Visualisierungen, Pausen. Nur so sind auch am letzten Tag noch gute Entscheidungen möglich.
Die eigentliche Herausforderung beginnt nach der COP: Umsetzung. Ziele sind oft zu schwach, kommen zu spät oder bleiben in nationaler Gesetzgebung hängen.
Psychologie erklärt, warum:
Nur mit Narrativen, Commitments und Strukturen, die Gestaltungsspielraum und Verantwortung schaffen, kann COP30 zur Umsetzungs-COP werden.
In meinem Jahr mit Regierungen, NGOs und der COP30-Präsidentschaft habe ich gelernt: Die psychologischen Dynamiken entscheiden über das Gelingen oder Scheitern der Klimadiplomatie.
Vertrauen, Resilienz, Identität, Empathie, psychologische Sicherheit, kollektive Intelligenz – all das ist kein Beiwerk, sondern das Fundament. Psychologie ist kein „weicher Faktor“, sondern ein systemischer Enabler, der Ambition, Kooperation und Umsetzung möglich macht.
Wenn die Welt von Verhandlung zu Umsetzung kommen will, müssen COPs psychologisch intelligenter werden. Nur so lassen sich Gräben überbrücken – und Lösungen finden, die unsere gemeinsame Zukunft sichern.
Janna Hoppmann ist Psychologin und Mercator Fellow für Internationale Aufgaben. Sie arbeitet seit vielen Jahren an der Schnittstelle von Psychologie, Klima und Politik – unter anderem mit Regierungen von SIDS-Staaten, internationalen NGOs und aktuell im engen Austausch mit der COP30-Präsidentschaft. Mit ClimateMind bringt sie psychologisches Wissen in internationale Klimaverhandlungen, in die Arbeit von Delegationen und in transformative Dialogformate.
👉 Wenn Sie Ihre Delegation, Allianz oder Organisation bei COP30 oder darüber hinaus psychologisch stärken möchten – etwa durch Vertrauensaufbau, Resilienz-Trainings oder Strategien für Storytelling und kollektive Wirksamkeit – freue ich mich über eine Kontaktaufnahme via Email.
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