Emotionen – die verborgene Kraft in Klimaverhandlungen
Welche Rolle spielen Emotionen auf Klimakonferenzen – und wie können wir bewusster mit ihnen arbeiten?
Teil 3 der Blogartikel-Reihe "Psychologie der COPs"
Teil 1: Überblick - Psychologie der COPs
Teil 2: Vertrauen
Teil 3: Emotionen
Teil 4: Psychologische Sicherheit
Teil 5: folgt in Kürze
Wer viele Stunden in einem UN-Verhandlungsraum verbracht hat, weiß: Emotionen sind überall. Müdigkeit. Frustration. Druck. Und doch tut die Diplomatie oft so, als gäbe es sie nicht.
Warum Emotionen zentral sind
Wie Emotionspsycholog:innen betonen, sind Emotionen kein Rauschen, sondern Daten – sie geben Bedeutung und motivieren zum Handeln (Brosch, 2021). Sie zeigen, was Menschen wertschätzen, wovor sie sich fürchten, worauf sie hoffen. Sie prägen Kooperation, Entscheidungen und Glaubwürdigkeit (Lerner et al., 2015).
Die Forschung belegt: Emotionen sind nicht nur innerhalb von Verhandlungsräumen entscheidend, sondern auch darüber hinaus – sie gehören zu den stärksten Prädiktoren für öffentliches Engagement und Unterstützung von Klimapolitik. Verhandler:innen mögen rational handeln (oder es versuchen), aber sie bewegen sich in einer emotionalen Welt, die weit über die UN-Hallen hinausreicht.
Über ihre innere Wirkung hinaus fungieren Emotionen als soziales Kommunikationssystem: Sie koordinieren Erwartungen, Vertrauen und Kooperation (Morris & Keltner, 1999; Sharma et al., 2020). Wut kann auf eine verletzte Norm hinweisen, Enttäuschung zu Wiedergutmachung anregen, Gelassenheit Kooperation wiederherstellen. Authentisch ausgedrückt werden Emotionen zu einer feinen Sprache der Diplomatie.
Wo Emotionen wirken
Emotionen durchziehen alle Ebenen der Klimadiplomatie – von der Verhandlungstaktik bis zur Erschöpfung nach Mitternacht. Sie prägen, wie Kooperation entsteht, Vertrauen wächst und Entscheidungen fallen.
Besonders sichtbar werden sie in neun Feldern:
1. Kooperation – Emotionen als Motor oder Blockade gemeinsamer Lösungen.
2. Verhandlungsräume – Dynamiken erkennen, Spannung regulieren.
3. Kommunikation & Storytelling – Emotionen gezielt und authentisch ausdrücken.
4. Emotionale Sicherheit – Räume schaffen, in denen Emotionen erlaubt sind.
5. Gerechtigkeit – Emotionen als Spiegel wahrgenommener Fairness.
6. Werte & Identität – Emotionen zeigen, was Gruppen wirklich wichtig ist.
7. Resilienz – Mit Stress, Druck und Erschöpfung psychologisch umgehen.
8. Kollektive Emotionen – Gemeinsame Energie und Hoffnung mobilisieren.
9. Entscheidungsfindung – Emotionen als Informationsquelle statt Störfaktor verstehen.
Diese Felder sind keine Randnotizen – sie sind das emotionale Fundament, auf dem internationale Kooperation ruht.
Beobachtungen aus dem Verhandlungsraum
Bei der SB62 in Bonn war die emotionale Dynamik greifbar: Verzweiflung, wenn Entwürfe scheiterten; Spannung bei Finanzfragen; Lachen, Solidarität und Erleichterung bei Durchbrüchen. Ein einziger Seufzer konnte entmutigen, ein ehrliches „Danke“ Kooperation neu entfachen – Mikromomente, die in keinem Protokoll stehen und doch oft den Verlauf prägen.
Das Ungleichgewicht zwischen großen und gut ausgestatteten Allianzen (z. B. EU) und kleinen Teams in Inselstaaten (SIDS) verstärkt den emotionalen Druck zusätzlich. Kleine Teams jonglieren mit parallelen Events, Stakeholder-Meetings und Textarbeit bis spät in die Nacht. Müdigkeit wird strukturell: Sie prägt, wer präsent und einflussreich bleiben kann.
Psychologische Dynamiken & Fallstricke
Aus vielen Jahren Forschung in Psychologie und Diplomatie zeigen sich wiederkehrende Muster (Lerner et al., 2015):
- Emotionale Ansteckung: Negative Stimmungen verbreiten sich schneller als positive.
- Unterdrückung: Das Verbergen von Gefühlen erhöht Stress und kognitive Überlastung.
- Fehlinterpretation: Kulturelle Unterschiede in Tonfall oder Gestik führen leicht zu Missverständnissen – Emotionen sind zugleich kognitive Bewertungen und soziale Signale; ihre Bedeutung hängt von Normen und Kontext ab (Martinovski, 2010).
- Emotionale Erschöpfung: Lange Sitzungen verringern Empathie und Geduld.
- Moralische Emotionen: Schuld, Stolz oder Empörung können mobilisieren – oder blockieren, wenn sie unausgesprochen bleiben.
Strategischer Ausdruck: Wut kann Zugeständnisse provozieren, Enttäuschung zu Reparaturhandlungen anregen – aber nur, wenn sie als authentisch wahrgenommen werden. Geschauspielerte Emotionen untergraben Glaubwürdigkeit und Vertrauen (Van Kleef et al., 2004; Olekalns & Druckman, 2014). Emotionale Intelligenz heißt zu wissen, wann man ausdrückt, wann man reguliert – und wann Schweigen wirkt.
Anwendung in der Praxis: Emotionen & Resilienz
Verhandlungen sind emotional anspruchsvoll. Delegierte müssen Frustration, Müdigkeit und Druck aushalten – und dennoch handlungs-, entscheidungs- und verbindungsfähig bleiben. Das ist kein Zeichen von Schwäche, sondern von Menschlichkeit. Entscheidend ist, wie sie mit Emotionen umgehen, sie regulieren und sich erholen.
Psychologische Tools (Lerner et al., 2015):
- Neubewertung (Reappraisal): Rückschläge als Lernmomente statt als Scheitern sehen.
- Emotionale Intelligenz: Eigene Reaktionen verstehen, Signale anderer erkennen.
- Netzwerke & Mentoring: Erfahrungen teilen, Isolation verringern, Langzeit-Belastbarkeit aufbauen.
Über Jahrzehnte bestätigt: Unterdrückung wirkt kontraproduktiv und kognitiv kostspielig – sie verbraucht mentale Energie, beeinträchtigt Gedächtnis und kann Gefühle sogar verstärken. Neubewertung reduziert hingegen subjektiven Stress und physiologische Erregung; Verhandler:innen bleiben ruhiger, klarer, überzeugender. In Verhandlungskontexten stützt Reappraisal nachhaltige Performance (Olekalns & Druckman, 2014) und hilft, Rückschläge als Teil eines wachsenden Kooperationsprozesses zu sehen.
Resilienz ist nicht angeboren – sie kann trainiert und gestärkt werden. Teams, die Reflexion, Empathie und Erholung praktizieren, sind besser gewappnet für die emotionalen Stürme internationaler Diplomatie. Facilitators tragen dabei eine doppelte Last: Prozess halten und eigene Grenzen wahren. Kurze emotionale Pausen anzuerkennen ist kein Verlust an Professionalität – es bewahrt sie.
Was die Forschung zeigt
- Emotionen = Daten & Treiber: Sie signalisieren Bedeutung, motivieren Handeln und prägen Risiko-/Urteilsverhalten (Brosch, 2021; Lerner et al., 2015).
- Ausdruck wirkt – wenn authentisch: Emotionsausdruck beeinflusst das Gegenüber deutlich; Authentizität ist zentral für Vertrauen (Sharma et al., 2020).
- Soziale Funktionen: Emotionen koordinieren Erwartungen und Kooperation; Reappraisal verbessert Performance in Verhandlungen (Morris & Keltner, 1999; Olekalns & Druckman, 2014).
Wege nach vorn
Was heißt das für die Klimadiplomatie?
1. Emotionale Kompetenz integrieren
Emotionen wahrnehmen und benennen (eigene und fremde) – Empathie stärken, Eskalation verhindern, kreative Lösungen öffnen.
2. Emotionale Sicherheit schaffen
Frustration und Müdigkeit ansprechbar machen; Verlust würdigen, Fortschritt feiern – psychologische Sicherheit ermöglicht Ehrlichkeit und Innovation.
3. Resilienz in die Vorbereitung einbauen
Nicht nur mit Dokumenten kommen, sondern mit Unterstützungsnetzwerk: Peers, Mentor:innen, Ruhezeiten. Emotionale Vorbereitung ist so wichtig wie die technische.
4. Emotionen als Feedback verstehen
Wut oder Traurigkeit weisen oft auf unerfüllte Bedürfnisse oder moralische Spannungen hin – früher erkennbar als durch rein technische Argumente.
5. Kapazität der Facilitators schützen
Realistische Agenden, unterstützende Co-Chairs, Erholungszeiten. Den Raum zu halten beginnt damit, sich selbst zu halten. Emotionale Balance ist Voraussetzung für Klarheit.
Fazit: Emotion als Motor kollektiven Handelns
Im Herzen der Klimadiplomatie stehen nicht nur Daten und Texte – sondern Emotionen. Emotion ist nicht das Gegenteil von Vernunft – sie gibt der Vernunft Energie. Ohne emotionale Intelligenz droht Mechanik: Abkommen ohne Überzeugung, Zusagen ohne Engagement.
Um echte Kooperation zu erreichen, müssen Verhandler:innen nicht nur Emissionen managen, sondern mit Emotionen arbeiten. Empathie, Authentizität und Regulation sind keine „Soft Skills“, sondern strategische Werkzeuge für Resilienz, Vertrauen und Solidarität. Wie Sharma et al. (2020) zeigen, ist Authentizität im Emotionsausdruck zentral für Glaubwürdigkeit und langfristiges Vertrauen – ob bilateral oder multilateral.
Die gleichen Emotionen, die Bürger:innen mobilisieren – Wut, Hoffnung, Schuld, Angst – hallen auch in den Verhandlungsräumen wider (Brosch, 2021). Diese geteilten emotionalen Strömungen zu verstehen, kann Klimadiplomatie zu einem wahrhaft menschlichen Prozess machen. COP30 in Belém wird ein Prüfstein: Können Delegierte den emotionalen Realitäten von Verlust, Hoffnung und Gerechtigkeit begegnen – und sie in gemeinsames Handeln übersetzen?
Weiterführende Literatur:
- Brosch, T. (2021). Affect and emotions as drivers of climate change perception and action: a review. Current Opinion in Behavioral Sciences, 42, 15–21.
- Lerner, J. S., Li, Y., Valdesolo, P., & Kassam, K. S. (2015). Emotion and decision making. Annual Review of Psychology, 66(1), 799–823.
- Martinovski, B. (2010). Emotion in negotiation. In Handbook of Group Decision and Negotiation (S. 65–86). Dordrecht: Springer.
- Morris, M., & Keltner, D. (1999). How emotions work: the social functions of emotional expression in negotiation.
- Olekalns, M., & Druckman, D. (2014). With feeling: How emotions shape negotiation. Negotiation Journal, 30(4), 455–478.
- Sharma, S., Elfenbein, H. A., Sinha, R., & Bottom, W. P. (2020). The effects of emotional expressions in negotiation: a meta-analysis. Human Performance, 33(4), 331–353.
- Van Kleef, G. A., De Dreu, C. K., & Manstead, A. S. (2004). The interpersonal effects of emotions in negotiations. JPSP, 87(4), 510.
Über die Autorin
Janna Hoppmann ist Psychologin und Mercator Fellow für Internationale Aufgaben. Sie arbeitet seit vielen Jahren an der Schnittstelle von Psychologie, Klima und Politik – unter anderem mit Regierungen von SIDS-Staaten, internationalen NGOs und aktuell im engen Austausch mit der COP30-Präsidentschaft. Mit ClimateMind bringt sie psychologisches Wissen in internationale Klimaverhandlungen, in die Arbeit von Delegationen und in transformative Dialogformate.
👉 Wenn Sie Ihre Delegation, Allianz oder Organisation bei COP30 oder darüber hinaus psychologisch stärken möchten – etwa durch Vertrauensaufbau, Resilienz-Trainings oder Strategien für Storytelling und kollektive Wirksamkeit – freue ich mich über eine Kontaktaufnahme via Email.
Sie haben Fragen oder möchten sich austauschen? Dann melden Sie sich gerne bei uns – oder bleiben Sie über unseren Newsletter, unsere Online-Akademie und unsere Community mit uns in Verbindung.
