
Hoffnung, Würde und Gerechtigkeit

Die psychologische Bedeutung des ICJ-Gutachtens zu Klimaschutz
Was bedeutet Gerechtigkeit, wenn das eigene Zuhause untergeht?
Für viele junge Menschen, Indigene Gemeinschaften und von der Klimakrise stark betroffene Staaten ist Klimaschutz nicht nur eine politische Aufgabe, sondern eine Überlebensfrage. Als der Internationale Gerichtshof am 23. Juli 2025 ein historisches Gutachten veröffentlichte, war das für viele mehr als ein juristisches Signal – es war ein Moment der Anerkennung, Hoffnung und Würde.
Diese sogenannte „Advisory Opinion“ ist rechtlich zwar nicht bindend, aber sie entfaltet eine enorme normative und politische Wirkung – und eine tiefgreifende psychologische Resonanz. Besonders für junge Menschen, Indigene Gemeinschaften und diverse Staaten im Globalen Süden markiert das Gutachten einen symbolischen und emotionalen Wendepunkt. Es ist mehr als juristische Analyse: Es ist Anerkennung, Rückenwind und eine Quelle kollektiver Hoffnung.
Kontext: Was genau ist das ICJ-Gutachten?
Das Gutachten geht auf eine Initiative der Republik Vanuatu zurück, die 2021 gemeinsam mit pazifischen Studierenden (Pacific Islands Student Fighting Climate Change, PISFCC) eine weltweite Kampagne startete. Über 130 Staaten unterstützten schließlich eine Resolution der UN-Generalversammlung, in der der Internationale Gerichtshof um eine Einschätzung gebeten wurde: Haben Staaten eine rechtlich bindende Pflicht, wirksam gegen die Klimakrise vorzugehen – insbesondere im Hinblick auf den Schutz von Menschenrechten und zukünftigen Generationen?
Das nun vorliegende Gutachten bejaht diese Verpflichtung in zentralen Punkten. Auch wenn es keine unmittelbaren Sanktionen nach sich zieht, setzt es einen neuen Maßstab – für Gerichtsverfahren weltweit, für nationale Gesetzgebung, für internationale Verhandlungen. Und: für unsere Vorstellung von Gerechtigkeit.
Warum dieses Gutachten psychologisch so bedeutsam ist
1. Anerkennung von erlebtem Unrecht
Für viele Staaten im Pazifik, für Indigene Gemeinschaften und für Jugendliche, die sich über viele Jahre für Klimagerechtigkeit eingesetzt haben, ist das Gutachten ein öffentliches „Wir sehen euch. Ihr habt recht.“
In der psychologischen Forschung gilt Anerkennung als zentrales soziales Grundbedürfnis: Sie validiert das Erleben von Verlust, Marginalisierung und ungleicher Verantwortung, macht kollektives Leid sichtbar und bestätigt die Würde der Betroffenen. Damit stärkt sie Resilienz, Zugehörigkeit und die Fähigkeit, selbstwirksam zu handeln (vgl. Deci & Ryan, 2000; Honneth, 1992; Vollhardt, 2012).
🔎 Studien zeigen: Subjektiv erlebte Gerechtigkeit beeinflusst Vertrauen, Motivation und psychisches Wohlbefinden in Krisen wesentlich – das Gefühl, ernst genommen zu werden, kann Ohnmacht in Handlungskraft verwandeln (Pfister & Böhm, 2011).
2. Recht statt Gnade
Wenn Klimaschutz nicht mehr als großzügige Geste, sondern als völkerrechtliche Pflicht verstanden wird, verändert sich das Selbstbild der Betroffenen. Sie werden nicht länger als Bittsteller:innen adressiert, sondern als legitime Träger:innen von Rechten. Das stärkt psychologisch gesehen die eigene Handlungsmacht (Agency), Würde und Identität.
In vielen Gesprächen mit Aktivist:innen und Regierungsvertreter:innen im Globalen Süden hören wir diesen Effekt: „Jetzt haben wir eine Grundlage, auf der wir bestehen können.“ Ein Recht auf Klimaschutz – das verändert die innere Haltung.
🔎 Studien betonen, dass genau solche Veränderungen in kollektiver Selbstwahrnehmung politische Prozesse beschleunigen können (Carleton et al., 2022).
3. Vertrauen in internationale Gerechtigkeit
Gerade für Menschen in Staaten, die oft als „zu klein“, „zu arm“ oder „zu weit weg“ vom globalen Machtzentrum wahrgenommen werden, kann die internationale Rechtsordnung abstrakt und entkoppelt wirken - gar nicht passend zur eigenen lokalen Realität. Umso bedeutender ist ein Urteil, das klar benennt: Auch kleine Staaten, auch künftige Generationen haben Anspruch auf Schutz.
Das ICJ-Gutachten zeigt: Internationale Gerechtigkeit ist möglich – auch wenn sie oft spät kommt. Es stärkt das Vertrauen in globale Institutionen und in gemeinsame Normen. Und genau dieses Vertrauen ist ein psychologischer Schlüssel für langfristige Resilienz und soziale Kohäsion.
🔎 Kühne et al. (2022) zeigen, dass wahrgenommene institutionelle Fairness ein Schutzfaktor gegen klimabedingte psychische Belastungen ist – besonders in hochbetroffenen Regionen.
4. Emotionale Mobilisierung für strukturellen Wandel
Das ICJ-Gutachten hat bei vielen Menschen eine emotionale Welle ausgelöst: Erleichterung, Hoffnung, Würde – aber auch Trauer über späte Anerkennung. Diese Emotionen sind nicht „irrational“, sondern psychologisch hochrelevant: Sie mobilisieren. Sie schaffen Bindung, Orientierung und Energie für Veränderung.
Hoffnung, so zeigt die psychologische Forschung, ist keine naive Erwartung, sondern ein strategischer Modus kollektiver Handlungsfähigkeit. Sie entsteht dort, wo Gerechtigkeit greifbar wird – und ist dann ein starker Treiber für politischen Wandel (Böhm et al., 2012; Thomas & Haynes, 2023).
Was jetzt zählt
Das Gutachten des ICJ ist kein Abschluss – sondern ein Anfang. Es markiert einen psychologisch wirksamen Wendepunkt in der globalen Klimagerechtigkeitsbewegung. Die Frage ist nun: Wie nutzen wir diesen Moment?
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Juristisch, indem wir das Gutachten in nationale und internationale Verfahren einbinden
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Politisch, indem wir mutige Entscheidungen auf seine Legitimation stützen
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Psychologisch, indem wir die neue Würde und Hoffnung kollektiv stärken – in Geschichten, Bildungsformaten, Strategien und Dialogen
Bei ClimateMind arbeiten wir genau an dieser Schnittstelle zwischen globaler Politik und menschlicher Erfahrung. Wir machen sichtbar, was viele politische Prozesse übersehen: die psychologische Wirkung von Gerechtigkeit, Würde und Sichtbarkeit.
Mit psychologischen Analysen, Storytelling-Formaten, Trainings und Dialogprozessen unterstützen wir Institutionen und Entscheidungsträger:innen dabei, nicht nur über Klimagerechtigkeit zu sprechen – sondern sie auch emotional wirksam zu gestalten.
Für die Praxis
In unseren Workshops mit Klimaaktivist:innen, Staatsbediensteten und Community Leaders in Tuvalu, Vanuatu und Dominica wurde immer wieder deutlich: Die symbolische Kraft internationaler Urteile wie des ICJ-Gutachtens gibt Betroffenen Mut, sich weiter für ihr Recht auf eine sichere Zukunft einzusetzen.
Weiterführende Literatur
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Tritschoks, A. (2018). Rethinking Justice in International Environmental Negotiations: Toward a More Comprehensive Framework. International Negotiation, 23(3), 446-477.
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Müller, M. M. (2011). Justice as a framework for the solution of environmental conflicts. In Justice and conflicts: Theoretical and empirical contributions (pp. 239-250). Berlin, Heidelberg: Springer Berlin Heidelberg.
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Mattaini, M. A. (2023). Constructing global climate justice: the challenging role of behavior science. Behavior and Social Issues, 32(2), 560-582.
Weiterführende Ressourcen
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