Teil 1: Überblick - Psychologie der COPs
Teil 2: Vertrauen
Teil 3: Emotionen
Teil 4: Psychologische Sicherheit
Teil 5: folgt in Kürze
Wer internationale Klimaverhandlungen beobachtet, spürt schnell die Spannung im Raum. Worte werden abgewogen, Gesten analysiert – niemand will etwas Falsches sagen. Denn jedes Statement kann diplomatische Folgen haben. In einem solchen Umfeld entsteht leicht Schweigen: Delegierte behalten Bedenken für sich, junge Verhandler:innen trauen sich nicht, Fragen zu stellen, und kreative Ideen bleiben unausgesprochen.
Dabei entscheidet genau das über Fortschritt oder Stillstand: die Fähigkeit, sich sicher zu fühlen, etwas zu sagen, ohne negative Konsequenzen befürchten zu müssen. Diese innere Sicherheit nennt die Forschung psychological safety.
Sie ist das Fundament für Kooperation, Lernen und Mut in unsicheren, hochvernetzten Umgebungen – also genau das, was internationale Klimaverhandlungen sind (Carmeli et al., 2009). Ohne psychologische Sicherheit dominieren Selbstschutz und Zurückhaltung; mit ihr entstehen Vertrauen, Offenheit und kollektive Problemlösung.
Psychologische Sicherheit stillt grundlegende menschliche Bedürfnisse: Zugehörigkeit, Anerkennung, Selbstwirksamkeit und Authentizität. Sie erlaubt es, sich einzubringen, Fragen zu stellen und Fehler als Lernchance zu sehen. Studien zeigen: In Teams – und ebenso in Verhandlungen – fördert sie Informationsaustausch, Innovationsbereitschaft und die Fähigkeit, auch unbequeme Wahrheiten auszusprechen.
Kurz gesagt: Psychologische Sicherheit ist kein „weicher Faktor“, sondern die unsichtbare Infrastruktur jeder funktionierenden Zusammenarbeit – und damit eine der stillsten, aber mächtigsten Kräfte in der internationalen Klimapolitik.
Psychologische Sicherheit zieht sich durch alle Ebenen der internationalen Klimapolitik – sie entscheidet, wer sich traut zu sprechen, wer gehört wird und wo gemeinsames Lernen möglich ist. Ohne sie bleiben viele Ideen unausgesprochen, Konflikte ungelöst und Chancen für Zusammenarbeit ungenutzt.
Besonders sichtbar wird psychologische Sicherheit in neun Feldern:
In Verhandlungsräumen – Mut, Ideen und Bedenken einzubringen, ohne Angst vor Ablehnung oder politischer Unerfahrenheit.
Zwischen Staaten und Gruppen – Vertrauensvolle Beziehungen ermöglichen Offenheit über Unsicherheiten, Zwänge und Kompromissspielräume.
In emotional aufgeladenen Kontexten – Sicherheit, Emotionen wie Trauer, Wut oder Hoffnung ausdrücken zu dürfen, ohne abgewertet zu werden.
In inklusiven und kulturell sensiblen Prozessen – Diversität wird als Stärke verstanden, nicht als Störung; alle Stimmen zählen.
In der Facilitation – Moderator:innen schaffen Strukturen, in denen Offenheit, Empathie und klare Regeln produktive Gespräche ermöglichen.
In Delegationsteams – Teams lernen aus Fehlern, geben Feedback und halten auch unter Druck zusammen.
In Institutionen und Präsidien – Lernorientierte Kulturen fördern Reflexion statt Schuldzuweisung und ermöglichen Resilienz.
Im Storytelling und in gemeinsamer Identität – Narrative wie das „Mutirão“-Prinzip stärken das Gefühl kollektiver Verantwortung.
In der Übersetzung zwischen Wissenschaft und Politik – Demut und Vertrauen schaffen Sicherheit für gegenseitiges Lernen und gemeinsame Evidenzbasis.
Psychologische Sicherheit beschreibt die Wahrnehmung, ob es sicher ist, zwischenmenschliche Risiken einzugehen – also etwa Fragen zu stellen, Fehler zuzugeben oder abweichende Meinungen zu äußern, ohne negative Folgen zu befürchten (Edmondson & Bransby, 2023; Newman & Eva, 2017):
In multilateralen Prozessen wie den COPs bedeutet das: Psychologische Sicherheit ist die unsichtbare Voraussetzung, damit Vielfalt, Wissen und Erfahrung tatsächlich wirken können.
Auch psychologische Sicherheit – oder ihr Fehlen – ist in den Verhandlungsräumen deutlich spürbar.
Bei der SB62 in Bonn zeigte sich, wie stark Sprache, Hierarchie und Unsicherheit darüber entscheiden, wer sich traut zu sprechen – und wer lieber schweigt.
In den formellen Sitzungen herrschte spürbare Anspannung. Delegierte wählten jedes Wort mit Bedacht, viele sprachen nur, wenn sie sicher waren, dass ihre Position politisch abgestimmt war. Junge oder neuere Verhandler:innen hielten sich oft zurück – aus Angst, etwas „Falsches“ zu sagen oder als unerfahren wahrgenommen zu werden. Psychologische Sicherheit war hier kaum vorhanden: Das Risiko, zu scheitern oder bloßgestellt zu werden, überwog den möglichen Gewinn.
Ganz anders die Atmosphäre in den informellen Runden am Rand der Konferenz – bei Kaffeepausen, Abendgesprächen oder spontanen Treffen auf dem Weg zum Shuttle. Hier wurde gelacht, zugehört, ausprobiert. Fragen durften laut gestellt werden, Zweifel ausgesprochen, Ideen gesponnen. In diesen Momenten entstand die Offenheit, die in den offiziellen Räumen fehlte – und genau hier begann Kooperation.
Für mich wurde deutlich: Formelle Prozesse schaffen oft prozedurale Sicherheit, aber keine psychologische Sicherheit. Sie geben Struktur, aber keine Ermutigung. Erst wo sich Menschen sicher fühlen, ehrlich zu sprechen, entsteht der Mut, gemeinsam Neues zu denken – und genau dort beginnt echte Diplomatie.
Psychologische Sicherheit ist verletzlich. Sie kann schnell verloren gehen – besonders in Kontexten mit Machtgefällen, Unsicherheit und öffentlicher Beobachtung:
Kurz gesagt: Psychologische Sicherheit ist keine Nettigkeit, sondern Angstregulation im Dienst kollektiver Intelligenz.
Meta-Analysen und empirische Studien belegen drei zentrale Zusammenhänge (Frazier et al., 2017):
Für internationale Klimaverhandlungen heißt das: Wo Menschen sich sicher fühlen, entsteht Mut, Wissen zu teilen, Risiken einzugehen und gemeinsam Neues zu entwickeln – die Grundlage jeder ambitionierten Klimapolitik.
Was heißt all das konkret für die Klimadiplomatie? Wie können Verhandlungsleitungen, Präsidien und Delegierte psychologisch sichere Räume schaffen, in denen Offenheit, Kreativität und Vertrauen gedeihen?
1. Klima der Offenheit schaffen:
Gleich zu Beginn Erwartungen und Spielregeln benennen – etwa, dass Fehler, Nachfragen oder Unsicherheiten Teil des Prozesses sind. Eine explizite Einladung zu Offenheit senkt die soziale Bedrohung.
2. Facilitation neu denken:
Gute Moderator:innen strukturieren nicht nur Gespräche, sondern auch Emotionen. Methoden wie kurze Check-ins, Runden, humorvolle Zwischenmomente oder das bewusste Ansprechen von Spannungen („naming the dynamic“) erhöhen Sicherheit und Verbindung.
3. Hierarchien abflachen:
Physisch und symbolisch – durch Sitzkreise, Redezeitbalance oder gleichberechtigte Wortmeldungen. Sichtbare Machtdistanz senkt psychologische Sicherheit; Augenhöhe stärkt sie.
4. Verwundbarkeit zeigen:
Präsidien, Chairs und Facilitators können selbst mit gutem Beispiel vorangehen – kleine eigene Unsicherheiten teilen, Feedback einholen, aufrichtig danken. Solche Gesten normalisieren Verletzlichkeit und machen Mut.
5. Debrief-Kultur etablieren:
Nach intensiven Sitzungen Zeit für Reflexion einplanen – was lief gut, was hat verunsichert? Solche Mini-Debriefs fördern institutionelles Lernen und Resilienz, statt Fehler zu tabuisieren (Kolbe et al., 2020).
Psychologische Sicherheit lässt sich nicht verordnen – sie muss täglich gepflegt werden. Doch kleine Interventionen in Sprache, Haltung und Struktur können große Wirkung entfalten.
Psychologische Sicherheit ist kein „Soft Skill“. Sie ist die unsichtbare Infrastruktur multilateraler Wirksamkeit – das, was Zusammenarbeit überhaupt erst ermöglicht.
In einer Welt wachsender Komplexität und Interdependenz bestimmt sie, ob Menschen Wissen teilen oder zurückhalten, mutig denken oder vorsichtig taktieren. Sie macht den Unterschied zwischen formeller Teilnahme und echter Ko-Kreation.
Für die COP-Prozesse bedeutet das: Wenn die „Mutirão COP“ in Belém 2025 gelingen soll, braucht sie Räume, in denen sich Delegierte sicher fühlen, ehrlich zu sprechen, zu hinterfragen – und gemeinsam Neues zu wagen.
Ohne psychologische Sicherheit bleibt Diplomatie defensive Kommunikation. Mit ihr wird sie zu dem, was sie im besten Fall ist: kollektives Denken in Bewegung.
Janna Hoppmann ist Psychologin und Mercator Fellow für Internationale Aufgaben. Sie arbeitet seit vielen Jahren an der Schnittstelle von Psychologie, Klima und Politik – unter anderem mit Regierungen von SIDS-Staaten, internationalen NGOs und aktuell im engen Austausch mit der COP30-Präsidentschaft. Mit ClimateMind bringt sie psychologisches Wissen in internationale Klimaverhandlungen, in die Arbeit von Delegationen und in transformative Dialogformate.
👉 Wenn Sie Ihre Delegation, Allianz oder Organisation bei COP30 oder darüber hinaus psychologisch stärken möchten – etwa durch Vertrauensaufbau, Resilienz-Trainings oder Strategien für Storytelling und kollektive Wirksamkeit – freue ich mich über eine Kontaktaufnahme via Email.
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